Projekttagebuch

Verstehen Sie Spaß, Herr Taliban? Satire als Entwicklungshilfemaßnahme

37.KW 2011

Das erfolgreichste Format unseres Bildungssenders in Afghanistan ist seit langem “Nish Kandh”. Afghanistans erste TV-Satire wird jeden Freitag um 21:00 Uhr ausgestrahlt und sorgt regelmäßig für heiße Diskussionen in der Region. Immerhin bringt die junge Schauspielergruppe um “Nish Kandh” in ihren Sketchen aktuelle Probleme und Kontroversen auf die Tagesordnung: Unterversorgung, Politikskandale, aber auch den nach wie vor sehr schlechten gesellschaftlichen Stand der Frauen im Land legen unsere Jungs schonungslos offen. Etwa durch inszenierte Interviewtermine mit Drogenbaronen und Warlords oder indem sie die Nachrichten in Burkas gehüllt verlesen.

Man ahnt, dass diese Form von “gesellschaftlicher Aufbauarbeit” in einem Land wie Afghanistan nicht immer ganz konfliktfrei von statten geht und so musste unser Team in den vergangenen zwei Jahren einige Anfeindungen über sich ergehen lassen. Was Najib Yousofy aber augenblicklich in Kabul erlebt ist beispiellos.

Ursprünglich war er in die afghanische Hauptstadt gereist, um die Lizenzen für unsere nächste Relaisstation in Mazar-i-Sharif zu beantragen und kann sich vor Interviewanfragen auf einmal nicht mehr retten. Ganz Afghanistan spricht über “Nish Kandh”. Alle führenden Tageszeitungen und Fernsehsender im Land berichten, selbst die afghanische Seite von BBC-World berichtet über den vermeintlichen Skandal.

Eine Gruppe ultrakonservativer Mullahs hatte das Satireformat entdeckt und sich daran gestoßen, dass in dem rein männlichen Ensemble Frauenrollen durch einen Mann dargestellt werden. Die Argumentation ist simpel: Ein Mann darf sich nicht auf die Stufe einer Frau begeben, indem er sich verkleidet und eine weibliche Figur verkörpert. Dass auch im afghanischen Theater wie früher in Europa Männer in Frauenrollen eine lange Tradition haben, wird ignoriert.

Menschen mit überholten Gesellschaftsbildern vertragen überall auf der Welt nur selten Spaß. In Afghanistan stellt sich das nun als echtes Problem heraus. Die Mullahfront forderte lautstark nicht nur die Verhaftung des betreffenden Darstellers und aller Senderverantwortlichen sondern gleich die Schließung des gesamten Fernsehsenders. Morddrohungen und wüste Beschimpfungen folgten schnell aus der zweiten Reihe.

Nun hat sich das afghanische Bildungsministerium demonstrativ hinter uns gestellt. 2008 bekamen wir für unser gemeinnütziges Engagement den “Bright Talents Award” von der afghanischen Regierung verliehen. Im Zuge der afghanischen Parlamentswahlen rechnen wir aber durchaus noch mit einzelnen Protesten.

Immerhin: Die Sendelizenz für Mazar-i-Sharif haben wir abseits der hitzigen Diskussion in den Medien ganz still und heimlich bekommen. Damit können wir unser Sendegebiet bald um 700.000 Menschen erweitern. Da kann die ungewollte Publicity vielleicht nicht schaden…